Thema

»Stell die verbindung her« und »HANDLE WITH CARE«

Eine Feier des freien künstlerischen Ausdrucks und der Beziehungspflege. Über tatsächliche und vermeintliche Distanzen hinweg.

Was tun wir, wenn wir uns als kulturelle Wesen verstehen? Ob in der Musik, in den Darstellenden Künsten, in der Malerei oder im sprachlichen Ausdruck – ob im Kunstbetrieb oder im alltäglichen Leben – wir erzeugen Bedeutungen, kreieren Sinn, stellen Ordnung(en) her. Durch diese Ordnungen hindurch bewegen wir uns in der Welt. Nur durch ein gemeinsames System des Benennens und Verstehens ergibt Kunst und Kultur Sinn – kann verstanden werden, was jemand meint. 

Menschen sind Gewohnheitstiere. Sich in den immer gleichen Ordnungen zu bewegen, sich die Welt so zu sortieren, dass sie für einfache Probleme einfache Lösungen bietet, ist weniger anstrengend, als sich mit der Komplexität vielfacher Perspektiven und Realitäten auseinanderzusetzen. Werden Menschen mit einem Sinnsystem konfrontiert, dass ihnen gänzlich fremd ist, erleben sie im Extremfall einen Kulturschock. Sie erfahren Angst und Unsicherheit, fühlen sich in ihrer Existenz bedroht. Ganz einfach deshalb, weil sie nichts mehr verstehen, ihre Einordnungen nicht aufgehen.  

Nun sind Menschen aber nicht nur Gewohnheitstiere, sondern auch lernfähig. Befinden sie sich in einer solchen Situation, besteht die Chance, dass sie diesen Schockzustand überwinden, Überforderung und Verwirrung hinter sich lassen. Es werden Blockaden abgebaut und Dinge sortiert, Puzzleteile fügen sich ineinander, bis Gemeinsamkeiten erkannt werden und ehemals fremde Elemente ohne Kompromisse und unwiderruflich in die Normalität der eigenen Welt hineingleiten. Es soll sogar Menschen geben, die diese Situationen suchen, sich geradezu hineinstürzen. Sie wollen Anschlussfähigkeit schaffen und Übersetzungsarbeit leisten, neue Impulse in alte Systeme einbringen und vermeintlich unlösbare Probleme in neuem Licht betrachten.

Es gibt jedoch viele Hindernisse, die Menschen tagtäglich davon abhalten, solche Erfahrungen zu machen. 

Ihre physische und soziale Mobilität wird eingeschränkt, Bildungschancen werden nicht gegeben, es gibt Zensur und Gewalt, dominante politische Ideologien, die Vereinzelung befördern, Identitäten fixieren, Grenzen schließen und Feindschaften beschwören. Die Welt war noch nie einfach gestrickt, noch nie in Ordnung. Dennoch leben wir – zumindest aus einer mitteleuropäischen Perspektive – in einer Zeit, in der uns die Prekarität unserer Freiheiten und die Notwendigkeiten gegenseitiges Verständnis herzustellen und gemeinsam zu handeln in ungewohnter Schärfe vor Augen geführt werden. Es ist an der Zeit wieder Vertrauen zu gewinnen in die Fähigkeit sich einander zuzuwenden, von der eigenen Position abzurücken und Verständnis herzustellen – mit dem Ziel gemeinsam richtig und gut zu handeln, um die eigene Zukunft im Sinne dieser Gestaltungsfreiheit zu bewahren.

Und was hat das alles mit Jazz zu tun? Jazz ist eine Kunstform, die sich aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld speist, ihr Lebenselixier aus ihrer sozialen Umgebung schöpft. Ihre Vitalität hängt von ihrer Fähigkeit ab, sich für Prozesse und Ereignisse zu öffnen, die um sie herum passieren. Dabei kann es nicht nur darum gehen, einen hochintellektuellen künstlerischen Austausch zu pflegen, sondern empathisch zu sein und eine Verbindung einzugehen, sich stets mitzuentwickeln und Resonanz herzustellen.

Mit der diesjährigen Festivalausgabe haben wir Musiker*innen eingeladen, die sich trauen in ihren zwischenmenschlichen Begegnungen Grenzen zu überschreiten und große Distanzen zurückzulegen: stilistisch, disziplinär, kulturell, politisch, geographisch. Musiker*innen, die sich empathisch ihrem Umfeld zuwenden, sich mit Vergangenheit und Tradition verbinden, die Ursprünge ihrer Identität erkunden, gleichermaßen aber auch in der Gegenwart verortet sind und Zukunftsvisionen entwickeln, die ihre jeweils ganz eigene Geschichte zu erzählen haben.

So sind die Leipziger Jazztage auch dieses Jahr wieder eine Forschungsreise – und eine Übung. Eine Übung für das Publikum sich einzulassen im Angesicht des Unbekannten. So wie die Künstler*innen auf der Bühne es getan haben und es vermutlich immer wieder tun werden. Eine Übung sich der erfrischenden Wirkung der Irritation hinzugeben, sie auf sich wirken zu lassen – mit dem Risiko, dass früher oder später doch ein gewisses Verständnis einsetzt und man ein klein wenig verändert wieder nach Hause geht. Vielleicht sogar in einem Gefühl der Verbundenheit.

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