LEIPZIGER JAZZTAGE

Räucherstäbchen und Druckwellen

Isaiah Collier & The Chosen Few by Lukas Diller
Isaiah Collier & The Chosen Few by Lukas Diller

Wie riecht Jazz? Die Antwort am Mittwochabend im UT Connewitz: nach Räucherstäbchen. Mit diesen läuft der Manager von Isaiah Collier and The Chosen Few vor Konzertbeginn durch den Saal. Es ist der Versuch, den Geruch der Explosion zu überdecken, die kurz darauf folgt.

Dabei ist der Konzertauftakt ruhig. Die Formation um den jungen Saxofonisten betritt die Bühne und bleibt im Halbdunklen an den Instrumenten stehen, den Körper gen Osten gedreht. Eine Huldigung an das Art Ensemble of Chicago, in dessen Tradition die Band steht. Es folgt ein sanfter Klangteppich aus gestrichenen und geschlagenen Klangschalen, aus Glocken, Schellen und Hölzern. Dazu die Stimme des sonnenbebrillten Saxofonisten: „Cosmic Transitions, Black Music“. Ein Verweis auf das neue Album sowie Einordnung in die afro-amerikanische Musiktradition.

Dann brennt die Zündschnur ab: Der Bass rennt, das Schlagzeug schlägt wild um sich, die Klaviertasten drohen zu brechen. Darüber die schnellen Phrasen von Collier. Von der Bühne geht eine Druckwelle aus, die das Publikum in die Sitze zurückdrückt. Drummer James Russell Sims spielt derart virtuos und dicht, dass der Eindruck entsteht, ein zweites Schlagzeug verstecke sich hinter dem Vorhang. Bassist Jeremiah Hunt greift die Rhythmen des Schlagzeugs auf, gibt Struktur und verhindert ein Abdriften ins Chaos. Pianist Julian Davis Reid spielt schnell – denn der Sound und die Energie lassen gar nichts anderes zu. Und Isaiah Collier führt zusammen: Der Saxofonist greift das Klanggefüge auf und rückt es mit seinen Melodien ins Spirituelle. Aufatmen kann das Publikum in Momenten, in denen der Druck ein wenig weicht. Etwa wenn Collier und Hunt auf traditionellen chinesischen Flöten spielen, oder zwischen den Tönen eines ruhigeren Bass-Solos.

Der Abend gleicht einem transzendenten Erlebnis: Das Gewölbe und die tempelartige Bühne des UT Connewitz, die Räucherstäbchen, der Nebel und die Lichter, die Energie und der nicht abebbende Klang.  Doch die blumige Beschreibung verblasst gegenüber dem, was in der Musik seinen Ausdruck findet. In dem Auftritt verarbeite Isaiah Collier and The Chosen Few die schwarze Erfahrung in den USA, erklärt Pianist Reid. Sie erzählen von dem Schmerz und der Frustration, aber auch von der Freude. Davon was es bedeutet, als schwarze Person in den USA zu leben. Beim Essen vor dem Konzert hätten sie über Sklaverei gesprochen, fügt Reid an. Während der Zugabe, dem eigentlich ruhigen Stück „After The Rain“ von John Coltrane, klingt Collier als würde er schreien. 

Das erste Lied aus den Boxen nach dem Auftritt ist „Mannenberg“ von Abdullah Ibrahim, eine der inoffiziellen Hymnen der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika. Mit dem Konzertende weicht der Druck von der Brust. Der Schmerz bleibt.

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