LEIPZIGER JAZZTAGE

Zwischen virtuosem Songwriting und Dekonstruktion: Marek Johnson und WRENS in der Schaubühne Lindenfels

Fotos: Lukas Diller
Fotos: Lukas Diller

Dass Jazz sehr viel mehr ist als ein Haufen akademischer Berufsmusiker*innen, die um die Wette shredden, zeigten am Montagabend gleich zwei Bands in der Schaubühne Lindenfels. Der Kölner Musiker Marek Johnson präsentierte mit seinem Quintett einfühlsames Songwriting, das auf Storytelling, Pathos und Pop setzte. Anschließend brach das New Yorker Quartett WRENS mit seinem Mix aus Noise, HipHop und Freejazz so einige musikalische Dämme und spülte die Gehörgänge der Zuhörerinnen mit einem Strom aus Modularsynthese, Rap und Schlagzeug gehörig durch.

Marek Johnson, gebürtig David Helm (Vocals, Bass), trat mit seiner vierköpfigen Band – bestehend aus Wanja Slavin (Synthesizer, Saxophon), Shannon Barnett (Vocals, Piano), dem Leipziger Gitarristen Bertram Burkert (Gitarre) und Hanno Stick (Schlagzeug) – auf. Sie eröffneten den Abend mit Songs aus ihren beiden Alben »At Home Singing« (2022) und »Mumbling on the Floor« (2024) und präsentierten wohldosiertes Songwriting, ohne dabei einen Ton zu viel zu spielen. Im Mittelpunkt stand die Stimme von David Helm, die den Großteil der Stücke angenehm dominierte. Mit virtuoser Leichtigkeit sang Helm sich durch die Register seiner Brust- und Kopfstimme. Sein sympathisch-lässiger Ausdruck und seine Phrasierungen erinnerten mitunter an Jeff Buckley oder Ed Droste von der Band Grizzly Bear.

Die Instrumentierung erfüllte ihren Zweck: Sie leitete ein, begleitete und setzte Akzente. Allerdings litt sie unter ihrer wohltemperierten Schnörkellosigkeit. Ausbrüche und Exzesse fehlten den Songs nahezu gänzlich, wodurch die Performance schnell abzunutzen drohte, da sie immer wieder über ihre Kurzwelligkeit und Kantenlosigkeit stolperte. Die zuweilen längeren Pausen nach den Songs trugen dabei nicht gerade dazu bei, das dichte emotionale Storytelling aufrechtzuerhalten. Trotz allem boten sich Einblicke in ein virtuos gestaltetes Songwriting, das die Zeitlosigkeit guter Popmusik unter Beweis stellte.

Nach der kurzen Pause hätte der musikalische Kontrast kaum größer ausfallen können: Denn WRENS betraten die Bühne. Statt Minimalismus und kontrolliertem Songwriting setzte das Quartett aus New York auf Improvisation, Energie und das Chaos von Freejazz, HipHop und Noise. Angeführt wurde die Band von Trompeter und Rapper Ryan Easter, begleitet von Schlagzeuger Jason Nazary, Keyboarder Elias Stemeseder und Cellist Lester St. Louis. Zusammen bildeten sie eine Dekonstruktionsmaschine, die sich durch den musikalischen Möglichkeitsraum der Frequenzsynthese arbeitete. Modularsynthese, gepitchte Trompetensoli und unermüdliches Ausloten unendlich ausweitender rhythmischer Zählzeiten bildeten den Klangteppich für eine ausdrucksstarke Vocalperformance von Easter.

Spätestens wenn sich dessen Rap-Einlagen in das Improvisationsgewitter einfügten, entfaltete sich die ganze Stärke der Performance. Die unnahbare Wand des Freejazz wurde plötzlich persönlich, intim und buchstäblich greifbar. An einer Stelle webte Ryan Easter die Erklärung des Bandnamens »Wrens« in die Darbietung ein. Der Name habe keine tiefere Bedeutung, erklärte er. Es gehe darum, seinen Namen »zu ownen« und mit Stolz zu besitzen. Ein perfekter Name also für eine Band, deren Musik sich mit Radikalität jeder gespielten Note annimmt und Jazz wieder als widerständigen performativen Akt erfahrbar macht.

TEXT: MATTHIAS PROPACH

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