Jutta Hipp: Die Ausnahmekünstlerin

In diesem Jahr wäre die Jazz-Pianistin Jutta Hipp 100 Jahre alt geworden. Lange Zeit war sie in Vergessenheit geraten – erst in den vergangenen Jahren wurde sie sukzessive wiederentdeckt. Wer war die gebürtige Leipzigerin, die in den 1950er Jahren in der pulsierenden Jazz-Szene New Yorks Karriere machte?
Das Plattenlabel Blue Note Records wurde 1939 von Alfred Lion und Francis Wolff, die vor dem NS-Regime aus Deutschland geflohen waren, in New York gegründet. Über die Jahre veröffentlichten sie Aufnahmen von Künstler:innen wie Art Blakey & The Jazz Messengers, Herbie Hancock, Sheila Jordan, Thelonious Monk, Horace Silver und Wayne Shorter und erlangten damit reichlich Prestige in der Jazz-Szene. 1956 nahm auch die gebürtige Leipzigerin Jutta Hipp drei Alben für Blue Note Records auf, bei dem sie kurz vorher als erste europäische Jazzmusikerin und zweite weiße Musiker:in in der Geschichte des Labels unterschrieben hatte.Im gleichen Jahr trat sie neben Ella Fitzgerald und Louis Armstrong auf dem Newport Jazz Festival auf. Kurz darauf gab sie die Musik auf, begann 1958 als Schneiderin in einer Fabrik in Queens zu arbeiten und verstarb schließlich im April 2003 an Bauchspeicheldrüsenkrebs in ihrer Wohnung im New Yorker Stadtteil Queens, in der laut ihrer Biographin Ilona Haberkamp längst kein Klavier mehr stand.
Ein neuer Sound aus Deutschland
Symbolisch für die Belastungen der Musikszene, die als einer der möglichen Gründe hinter dieser Entwicklung gelten, mag Hipps Beziehung zu ihrem einstigen Förderer Leonard Feather gewesen sein. Als erfolgreicher Jazzmusiker, Autor und Musikkritiker nutzte er seinerzeit seinen Einfluss, um Hipp den Weg auf die Bühnen der USA zu ebnen. Auf sein Bestreben hin wurde das Album »New Faces – New Sounds from Germany« des Jutta Hipp Quintetts bereits seit 1954 von Blue Note Records vertrieben. Dass sie dann aber vier Monate nach ihrer Ankunft in New York im Jahr 1955 unter Vertrag genommen wurde, ist allein ihrem Talent zu verdanken. Richard Cook beschrieb in »Blue Note Records: The Biography« eindringlich, dass Lion und Wolff als glühende Jazzfans nur Künstler:innen unter Vertrag nahmen, die sie ganz persönlich überzeugten.
Umso tragischer ist das Ende dieses Kapitels in Hipps Leben. Wie Katja von Schuttenbach in ihrer Masterarbeit über Jutta Hipp erörtert, bedrängte Feather die Künstlerin bereits kurz nach deren Ankunft in New York sowohl sexuell als auch bezüglich der Auswahl ihrer Stücke. Hipp wollte weder Feathers Kompositionen einspielen, noch eine Affäre mit dem verheirateten Mann beginnen. Dieser fühlte sich gekränkt und zog seine Unterstützung zurück. Hipp beendete im Sommer 1956 ihr sechsmonatiges Engagement im Hickory House Club und ihr musikalisches Schaffen hinterließ danach keinerlei mediale Spuren mehr. Feathers schrieb später allerdings noch höchst despektierlich über Hipp und behauptete beispielsweise, Horace Silvers musikalischer Einfluss hätte ihr Spiel ruiniert.
Hipp, die großen Wert auf den Schutz ihrer Privatsphäre legte, erwähnte nur einmal – im Rahmen eines Interviews im Jahre 1998 – öffentlich, dass dies eine schlimme Zeit gewesen sei, an die sie nicht erinnert werden möchte. So ließ sie die Jazzkarriere um 1957 hinter sich und begann, als Näherin zu arbeiten. Das bescheidene, aber verlässliche Einkommen sicherte ihre Existenz und Hipp, die von 1942 bis 1945 Studentin an der Staatlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig gewesen war, lebte ihre Kreativität von nun an in der Malerei aus. So hielt sie verschiedene Motive in Aquarellen fest, aber zeichnete auch Karikaturen anderer Jazzmusiker:innen.
Als Fan blieb sie dem Jazz dennoch treu, besuchte bis kurz vor ihrem Tod noch Jazzkonzerte und fotografierte Künstler:innen, die sie für besonders talentiert hielt. Diese Bilder schickte sie dann mit Vermerken über das musikalische Talent der Fotografierten auch an deutsche Magazine – wie eine wohlmeinende, anonyme PR-Managerin. Diese Leidenschaft für die Szene war es schließlich auch, die sie ursprünglich selbst zur Jazzpianistin machte.
Die Anfänge in Leipzig
Wenngleich die gebürtige Leipzigerin ihre Heimatstadt früh verließ, war die Zeit dort für sie prägend. Mitte der 1920er in der Messestadt geboren, besuchte sie die Rudolf-Hildebrand-Schule in Connewitz und wurde, beginnend im Alter von neun Jahren, für vier Jahre im klassischen Klavierspiel unterrichtet. Nachdem sie den Unterricht auf eigenen Wunsch abgebrochen hatte, war es ihr Interesse an Jazzmusik, das sie wieder ans Klavier brachte. Im illegalen Leipziger Hot Jazz Club, spielte sie während des zweiten Weltkriegs als Mitglied einer Amateur-Band. Zu ihren Vorbildern gehörten Fats Waller, Art Tatum und Teddy Wilson. Während der kurzen US-amerikanischen Besetzung Leipzigs nach Ende des Krieges war Jazz omnipräsent, ob im Hauptquartier der US-Truppen, auf dem Soldatensender AFN oder auf kleinen Bühnen: Überall in der Stadt wurde er nun wieder legal gespielt. Hipp nahm zu dieser Zeit Demos im Leipziger Lime City Jazz Club – bekannt auch durch Rolf Kühns Wirken – auf, die 2015 veröffentlicht wurden. Im Lauf der 1950er Jahre wurde Jazz in ganz Deutschland populär und mit ihm Hipp und ihr Klavierspiel.
Einige ihrer langjährigen Kolleginnen aus der Kleiderfabrik erfuhren erst durch ihren Nachruf von Hipps früherem Leben als Musikerin. Mit besonderen Wegbleiter:innen aus dem Jazz war sie aber ihr Leben lang in Verbindung.
Laura Gerlach
