Die Unwucht: »Polyamore Beziehungen zu Instrumenten«

Die 49. Leipziger Jazztage luden zu allerlei neuen Abenteuern ein. Am Eröffnungsabend war das Glück auf der Seite unserer Autorin Sascha Kantser: Sie traf Florian Fischer und Christopher Kunz von Die Unwucht zum gemeinsamen Gespräch über musikalische Einflüsse, ihre Beziehung zum Publikum und ihr Jazz-Verständnis.
Florian Fischer, Christopher Kunz und ich sitzen auf einem alten Sofa im Backstage-Raum. Bald werden sie zusammen mit einer weiteren talentierten Improvisatorin, Taiko Saito, ein Konzert spielen. Saito ist noch nicht angekommen, vielleicht weil sie in Berlin bessere Verkehrsanbindungen gewohnt ist – aber wer weiß? Ich bin sehr fasziniert von Musiker:innen, die nichts aufschreiben müssen, bevor sie ihre Musik spielen, und jetzt habe ich die Chance, den Jungs ein paar Fragen dazu zu stellen. Du, liebe:r Leser:in, kannst dir vorstellen, am Tisch gegenüber zu sitzen, eine Zigarette zu rauchen (oder nicht) und hoffentlich zuzuhören, während wir inspiriert plaudern.
Seht ihr eure Musik eher als modern oder als etwas Klassisches, bereits Etabliertes?
Florian Fischer: Für mich ist es beides gleichzeitig, weil es moderne Aspekte gibt, wo wir selber an was forschen, was vielleicht auf die Art und Weise noch nicht so viele machen. Aber es ist gleichzeitig total verwurzelt in Tradition, in verschiedenen Traditionen.
Kannst du dafür ein Beispiel geben?
Florian Fischer: Wir haben beide Jazz studiert und beschäftigen uns auch viel mit Jazzgeschichte und auch mit der Tradition von improvisierter Musik. Die Sachen, die wir in diese Tradition hinzufügen, sind auch nicht alles komplett neu, wie zum Beispiel Aspekte aus der Neuen Musik oder zeitgenössischer Komposition, die auch eigene Traditionen haben. Deshalb existiert für mich beides gleichzeitig.
Christopher Kunz: Geht mir auch so.

Foto: Lukas Diller
Welche Künstler:innen, Klänge oder Ereignisse inspirieren eure Musik?
Christopher Kunz: Eigentlich so viel, dass ich sagen würde, es bin nicht ich als Person, die die Musik macht, sondern die Summe der Erfahrungen, die ich machen durfte und die Summe der Menschen, die mich auf dem bisherigen Weg begleitet haben. Und das auseinander zu dröseln, würde sehr wahrscheinlich den Rahmen sprengen, weil es fängt bei den Eltern an, die uns geprägt haben, dann bei mir zum Beispiel mein Leichtathletik-Trainer, mein Bigband-Leiter aus der Schule und mein Saxofonlehrer im Studium, Matthias Rosenbauer. Bei all den Menschen, bei denen wir studiert haben und mit all den Musiker:innen, mit denen wir bisher schon arbeiten durften, also aus der individuellen Erfahrung heraus mit allen Menschen, mit denen wir Kontakt haben durften und natürlich auch mit den Menschen, die wir jetzt persönlich nicht kennen, aber deren Werke wir transkribieren oder hören, nachspielen, insbesondere: Black American Music, freie Improvisation, aber auch Helmut Lachemann, Enno Poppe, Neue Musik und auch Kunst und Literatur. Du, Florian, hattest die Biografie von Maria Lassnig gelesen?
Florian Fischer: Stimmt!
Christopher Kunz: Von Peter Handke haben wir ein paar Bücher gelesen und darüber geredet und ein paar Übungen abgeleitet für unser Duospiel.
Florian Fischer: Auch von der Natur sind wir inspiriert, weil wir oft draußen gespielt haben. Also zwei von unseren drei Alben sind auch in einem Garten aufgenommen und da würde ich sagen, hat dieses Umfeld auch den Klang geprägt. Also schon auch irgendwie Bäume oder Garten als Lebewesen selbst.
Wie sind normalerweise eure Gefühle gegenüber dem Publikum – denkt ihr manchmal an uns, und wenn ja, wie stellt ihr uns euch vor?
Christopher Kunz: Also, wir versuchen erst einmal den Raum wahrzunehmen. Das machen wir schon beim Soundcheck, dass wir ungefähr ein Gefühl dafür bekommen, wie der Raum klingt, gerade heute besonders, weil wir abgenommen werden. Also, mikrofoniert, passiert auch nicht oft. Das wird dann mit Publikum noch mal anders, was den Sound angeht. Da wird es auf jeden Fall ein paar Sekunden dauern, bis wir anfangen zu spielen. Und im Idealfall, würde ich sagen, versuchen wir, jede:r für sich, in den paar Sekunden ein Gefühl für das Publikum zu bekommen, auf einer energetischen Ebene. Aber das ist total offen und es ist auch nicht reflektiert. Also es ist auch nicht analysiert, sodass ich sagen würde, tolles Publikum, junges Publikum oder alt. Da geht es um gar keine Kategorien, sondern das passiert vielleicht auch mit geschlossenen Augen. Wir versuchen, das wahrzunehmen und uns zu bewusst zu machen, dass da Menschen sind, für die wir spielen dürfen.
Florian Fischer: Es gibt ja auf jeden Fall, würde ich sagen, auch eine Energie, die einfach herrscht in dem Raum, in dem mehrere Menschen zusammenkommen, um Musik zu hören. Und wir versuchen eigentlich schon immer, einen Prozess zu gestalten, den wir eigentlich gemeinsam erleben. Aber wir machen das nicht, indem wir jetzt viele Ansagen machen oder uns verbal mit dem Publikum beim Konzert austauschen, sondern eher dadurch, dass wir wirklich versuchen, den ganzen Raum und alle Menschen zu spüren und hoffen, dass die uns auch spüren können. Also eigentlich ist es mir immer wichtig, dass es sich trotzdem nach einem gemeinsamen Prozess anfühlt. Wenn wir heute ohne Publikum spielen würden, könnten wir schon auch zu dritt eine gute Zeit haben, aber es wäre auf jeden Fall nicht vergleichbar, die Energie.
Heute spielt ihr mit Taiko Saito. Wie seid ihr auf sie gestoßen?
Florian Fischer: Wir haben uns im Studium kennengelernt, da haben wir uns gefunden, menschlich und musikalisch ging das gut zusammen. Und wenn wir Partner:innen einladen, dann hängt es in erster Linie mit ästhetischen Aspekten zusammen, dass wir einfach diese Menschen gut finden, musikalisch und persönlich. Beides ist eine grundlegende Bedingung fürs gemeinsame Musizieren. Ich habe Taiko in Berlin kennengelernt, wir haben in manchen Projekten zusammen gespielt und ich fand sie musikalisch und auch menschlich einfach wahnsinnig toll und inspirierend. So finden wir dann immer mal wieder Partner:innen, die uns bereichernkönnen.

Foto: Lukas Diller
Wenn es Jazz nicht gäbe, würdet ihr trotzdem Musik machen? Und falls ja, in welchem Genre oder Stil?
Florian Fischer: Das ist für mich schwer vorstellbar, weil Jazz auch so weit gefasst ist. Was ist Jazz überhaupt? Wenn es Jazz nicht gäbe… Irgendetwas gäbe es trotzdem. Denn schon bevor jemand den Begriff Jazz erfunden hat, haben die Leute Dinge getan, die eigentlich sehr stark mit der Denkweise und der Herangehensweise ans Musikmachen verwandt sind.
Christopher Kunz: Ich glaube, dass man da an der Stelle vielleicht dann Jazz ersetzen müsste mit Improvisation. Also wenn es Jazz nicht geben würde, dann würde der ganze historische Background fehlen, also Black American Music, wo der Jazz herkommt, rassistische Gesetzgebungen und Diskriminierung, Sklaverei, das würde komplett fehlen. Das heißt, da würde auf jeden Fall schon mal eine Selbstermächtigung, die es in der Musik gegeben hat, wegfallen. Was übrig bleiben würde, wäre dann vielleicht Bach, der auch schon improvisiert hat. Auch in der Klassik spielt Improvisation eine Rolle, aber im Jazz ist sie vielleicht stärker und freier ausgeprägt. Das heißt, es wäre die Frage, ob wir da wirklich auf Jazz als Improvisation gestoßen wären. Ich würde mir das natürlich wünschen – ja. Sonst würden wir gar keine Musik machen. Oder Rock, Free Rock – wie auch immer.
Florian Fischer: Aber Rock ist ja auch inspiriert von Jazz. Ich glaube, dass es Improvisation gibt, seit es Menschen gibt. Und auch bevor es Menschen gab, gab es wahrscheinlich Improvisation. Weil Tiere das auf eine Art tun. Dann würde vielleicht diese kurze Zeitspanne, die man als Jazz bezeichnet hat, wo man Swing gespielt hat und so, das würde fehlen.
Erzählt mir bitte von eurer Beziehung zu euren Instrumenten: Sind sie für euch einfach Werkzeuge, oder habt ihr eine Art emotionale Bindung zu ihnen?
Christopher Kunz: Also, ich habe noch nicht von einem besseren Instrument geträumt. Ich habe manchmal geträumt, wie ich das Instrument übe. Das heißt, es geht darum, dass das Instrument mich nicht beherrscht, sondern dass ich das Instrument beherrsche. Und dann sind auch die letzten paar wenigen Prozente, die man noch rausholen könnte, weil es noch ein besseres Saxophon gibt, dann auch egal, weil die Zeit, die ich da investiere, oder das Geld, kann ich dann auch gleich in das Üben investieren. Von daher bin ich sehr zufrieden. Ich bin auch sehr zufrieden mit dem Schlagzeug, das Florian spielt, weil es immer gut klickt. Das heißt, ich nehme deine Antwort vorweg und behaupte, dass Florian auch sehr zufrieden ist mit seinem Instrument. Das kommt jedenfalls bei mir an.
Florian Fischer: Ja, das ist schön. Ich bin auch sehr zufrieden. Ich weiß nicht, inwiefern ich das Instrument wirklich komplett beherrschen kann, weil die Instrumente sind selber schon auch sensible Wesen, die auf Räume und alles Mögliche unterschiedlich reagieren. Und ich muss dann schon in Zusammenarbeit mit den Instrumenten was finden, was jetzt im Raum funktioniert. Und insofern ist es schon manchmal wie eine Beziehung mit Menschen, an der man arbeiten muss. Ich kann es mir vorstellen: hat ein Schlagzeuger ein Becken und findet es total toll. Aber es gibt irgendwann den Punkt, an dem man aus diesem Becken nichts mehr rausholen kann, was einen vielleicht selbst überrascht. Oder man fühlt eine Limitierung. Dann träume ich vielleicht wirklich mal von einem anderen Becken. Dann habe ich vielleicht ein anderes Becken. Dann benutze ich das. Dann komme ich doch wieder zu dem älteren Becken zurück. Vielleicht sagt ja jemand, ich habe eine polyamore Beziehung mit meinen Instrumenten…
