Musik als Akt der Rebellion: Joëlle Léandre in der Leipziger Liebfrauenkirche
»I am a worker« – »Ich bin eine Arbeiterin«, betont die Kontrabassistin und Improvisateurin Joëlle Leándre häufig. Mit höchster Konzentration und Ruhe widmete sich die französische Künstlerin am Sonntagabend in der Leipziger Liebfrauenkirche ihrem musikalischen Handwerk. Mithilfe von perkussiven Elementen und verschiedensten Vokaltechniken erzeugte die 73-jährige radikale wie eindruckvolle Klangwelten, die ihr Missverhältnis zur Welt zum Ausdruck brachten.
Als Rebellin wurde sie geboren, als Rebellin würde sie sterben, fasst sie selbst ihre Haltung zusammen. Diese Unbeugsamkeit offenbarte sich auch während ihres Leipzig-Konzertes in der bewussten Ablehnung musikalischer Konventionen. Die Freiheit der Improvisation, die Léandre beherrscht, lebt vom Wagemut, dem Bedürfnis nach künstlerischer Befreiung und dem Drang, sich in einer, wie sie es nennt, »furchtbaren Welt« zu positionieren.
Ihre Musik entsteht in einem fortlaufenden Aushandlungsprozess, dessen Ausformungen spontan, jedoch nie willkürlich wirken. In erzählerischer Manier wechseln flüsterleichte Passagen mit explosiven Klangausbrüchen ab. Beinahe anklagend zieht sie die Augenbrauen zusammen und lässt den Ton durch sich hindurchfließen. Mit den tiefen, vollen Klängen der gestrichenen Saiten erschafft sie ein Bild des Zornes, das im nächsten Moment durch sanftes Streichen einer Saite oder zartes Tippen in Misstrauen und fragile Ruhe übergeht. Ab und an nickt Léandre ihrer Musik zu oder schüttelt vehement den Kopf, während im tänzerischen Zusammenspiel zwischen ihr und ihrem Instrument eine fesselnde Intimität entsteht.
Gebannt und aufrecht sitzend verfolgte das Publikum der einstündigen Darbietung, die sich ihnen nicht als versöhnliche Unterhaltung präsentierte, sondern ihnen währenddessen und danach auch Arbeit abverlangte. Keine Sekunde der Entspannung, keine dissoziativen Elemente – dieses Konzert forderte die ungeteilte Aufmerksamkeit und Präsenz des Publikums. Mit ihrem zornigen Klang und einem eindringlichen Appell, Liebe in diese Welt zu tragen, entließ Léandre das aufgewühlte Publikum in einen Abend, der noch lange nachhallen wird.
TEXT: LUCA AMELIE SOPHIE KROPP