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»Mir wurde der Jazz nicht in die Wiege gelegt«: Interview mit Moritz Renner

Fotos: Lukas Diller

Dass der Jazz generationsübergreifend beliebt ist, sieht man nicht nur im Hinblick auf das Publikum der Leipziger Jazztage – es offenbart sich auch im Line-Up des Festivals. Neben gestandenen Größen bekommen jedes Jahr auch junge, aufstrebende Acts eine Bühne, um ihre eigene Musik zu präsentieren. Dazu zählten in diesem Jahr etwa Susi Lotter, Marina Schlagintweit sowie Moritz Renner, welche alle mit dem diesjährigen BMW Young Artist Jazz Award ausgezeichnet wurden. Unsere Autorin Juliane Eiserbeck hat sich mit dem 23-jährigen Münchener Renner vor seinem Konzert in der naTo getroffen. Sie sprachen über seine persönliche Beziehung zur Musik sowie über den gegenwärtigen Stellenwert des Jazz.

Was bedeutet dir Jazz?

Jazz ist für mich in erster Linie Leidenschaft. Es bedeutet, die Freiheit zu haben, Emotionen durch Spiel und Improvisation auszudrücken und nicht nur durch Geschriebenes. Üblicherweise gibt es in den Stücken meist komponierte Parts und improvisierte Soloteile. Ich finde es spannend, durch mein Solo gewisse Emotionen zu zeigen und das Publikum dabei auf eine Reise mitzunehmen. Generell ist Jazz sehr vielseitig, zudem politisch sowie historisch bedeutend. Wobei es für mich persönlich eher wichtig ist, was Jazz mit mir macht und wie er mich berührt. In dieser Musik fühle ich mich einfach zu 100 Prozent wohl.

Du hast mit 13 Jahren angefangen, Posaunenunterricht zu nehmen. Bist du dadurch zum Jazz gekommen oder wurde dir das in die Wiege gelegt?

Mir wurde der Jazz nicht in die Wiege gelegt. Durch meine Eltern hatte ich keine Berührung mit dem Jazz, dafür aber mit anderer Musik. Mein Papa ist Kirchenmusiker und meine ganze Familie ist generell sehr musikalisch. Dadurch bin ich schon sehr früh mit Kirchenchor-, Orchester oder Gospel-Musik in Berührung gekommen. Mit sieben Jahren habe ich dann angefangen, Klavier zu spielen.

Wie kam es dann zur Hinwendung zum Jazz?

Durch die Schule. Ich war auf einem musischen Gymnasium, da spielte sowohl klassische Musik als auch Jazz eine große Rolle. Mein drei Jahre älterer Bruder Valentin war auch auf dem Gymnasium. Er ist ebenfalls Jazzmusiker und spielt Schlagzeug. Mit ihm habe ich oft Jazzmusik gehört. Außerdem hatte mein erster Posaunenlehrer Christofer Varner einen großen Einfluss. Der hat zwar klassische Posaune studiert, ist aber viel in der Avantgarde-Richtung, also sehr experimentell unterwegs gewesen. Er hatte generell viel Ahnung von Jazzmusik und -geschichte und hat mich quasi sehr früh ins kalte Wasser geschmissen. Dadurch hatte ich dann irgendwann auch Lust, eigene Musik zu schreiben und so hat es sich herauskristallisiert, dass es in die Jazz-Richtung geht. Ich glaube alles, was man erlebt, bringt einen dahin, wo man heute steht – egal, ob es einem gefällt oder nicht. Alles ist erstmal eine Erfahrung und was man daraus macht, ist jedem selber überlassen.

Und warum hast du gerade die Posaune gelernt?

Früher habe ich viel gesungen, auch professionell im Theater und Musical. Posaune und die menschliche Stimme sind sich sehr ähnlich. Ich hatte das Gefühl, ich kann mit Posaune noch mehr ausdrücken, was ich zu sagen habe, als mit einem Klavier. Ohne die aktive Luft ins Instrument zu blasen, funktioniert es nicht. Deshalb habe ich mit dem Posaunenspiel angefangen. Ich fand es auch wahnsinnig spannend, im Orchester und klassisch zu spielen, habe aber auch damals mit dem Klavier immer gern improvisiert. Improvisation war daher schon lange Teil meines Lebens. Dann war ich auf meinem ersten Konzert im Jazzclub Unterfahrt in München und habe meinen späteren Professor Adrian Mears zum ersten Mal gehört. Ich dachte nur: Wow, so kann Posaune klingen! Das hat mich direkt berührt. Ich war fasziniert davon, welche Emotionen er damit rüberbringen konnte. Dass man mit dem Instrument sowohl schreien als auch ein Liebeslied spielen kann, fand ich spannend.

Welchen Stellenwert hat der Jazz deiner Meinung nach heute noch in der deutschen und internationalen Musiklandschaft?

Auf jeden Fall nicht mehr den, den er früher hatte. Wenn man historisch weiter zurückgeht, gab es die Swingmusik, was damals Tanzmusik war. Heute geht man zum Tanzen in einen Club, wo DJs auflegen, sei es Techno, HipHop oder House, was ich auch selbst gerne mag. Aber damals haben die Leute zu Swingmusik getanzt. Diese musikalische Evolution und die Entwicklung ist natürlich sehr wichtig. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Jazz nischiger geworden ist. Ich selbst versuche, Leute davon zu überzeugen, dass Jazz nicht nur schnell und wirr ist, sondern dass es im besten Falle erstmal eine Musik ist, die einen berührt und auf eine Reise mitnimmt. Das ist mir zumindest in meiner Musik wichtig. Mir geht es nicht darum, Menschen zu beeindrucken.

Manche denken, darum ginge es im Jazz…

Die Leute, die das denken, sollten einfach mal zu einem Jazz Konzert gehen. Die Live-Erfahrung, Musikerinnen und Musiker auf der Bühne zu sehen und zu beobachten, wie sie Energien aufs Publikum übertragen, ist natürlich was ganz anderes, als einem DJ zuzusehen. Aktuell habe ich außerdem das Gefühl, ist, dass Jazzclubs wieder zu einem Dating-Ort geworden sind. Da geht es oft nicht in erster Linie darum, aktiv die Musik zu hören, doch es entsteht dadurch immerhin ein Berührungspunkt mit der Musik, sodass sie im besten Falle wieder hingehen.

Wie kann man junge Menschen heutzutage für Jazz begeistern?

Da gibt schon ein paar tolle Konzepte. Ich spiele z. B. mit einer Band ein spezielles Jazz-Programm für Kinder. Das ist großartig, denn Kinder sind ein krasses Publikum, da sie so herrlich unvoreingenommen sind. Sie sehen dort Leute zusammen auf einer Bühne musizieren, hören die Klänge und finden das super.

Dabei ist Jazz oft erst mal weniger zugänglich als etwa übliche Radiomusik…

Ja, die Menschen sind nun mal häufig sehr bequem und wenn man nicht selbst mal seine Fühler austreckt und über den Tellerrand schaut, ist es sehr schwer, einen Zugang zu kriegen. Eine Möglichkeit, das zu ändern, ist die Verbindung verschiedener Musikgenres. Es gibt viele Bands, die Jazz mit anderen Musikrichtungen verbinden, wie z. B. eine Techno-Bigband aus München, bei der ich auch mitspiele. Und Jazz live zu hören, ist eh deutlich zugänglicher als über Kopfhörer. Ich finde, Musik funktioniert am Ende nur über eine Gemeinschaft, nicht individuell.

Du hast kürzlich den BMW Young Artist Jazz Award erhalten. Welche Rolle haben solche Auszeichnungen für dich persönlich oder auch generell für Künstler*innen?

Zum einen ist das natürlich ein bedeutender finanzieller Aspekt, welcher bei dem Award eine große Rolle spielt. Andererseits ist es auch die Aufmerksamkeit, die man bekommt – wenn vielleicht auch nur kurzzeitig – und die man nutzen kann, um selbst Konzerte zu buchen oder auch mal etwas auszuprobieren. Ich habe dadurch jetzt die Chance, bei den Leipziger Jazztagen zu spielen. Generell sind Preise schon eine Wertschätzung für die eigene Arbeit und den Fleiß, den man da reinsteckt. Aber das heißt nicht, dass ich den mehr verdienen würde als eine andere Person – es ist immer auch ein wenig Glück im Spiel. Ich freue mich natürlich sehr über den Preis, bilde mir aber auch nicht allzu viel drauf ein.

Wie ist es zu der Auszeichnung gekommen? Hast du dich beworben?

Nein, für den BMW Young Artist Award konnte man sich nicht bewerben. Man wird einfach ausgezeichnet. Ich habe per Anruf die Nachricht bekommen und war total überrascht. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, auch wenn mein Bruder den Preis letztes Jahr bekommen hatte. Der Award beinhaltet neben 5.000 Euro Preisgeld auch zwei Konzerte: Hier auf den Jazztagen und im renommierten Jazzclub Unterfahrt in München.

Was möchtest du als Musiker noch erreichen?

Ich möchte gerne solistisch als Moritz Renner noch bekannter werden und dabei im besten Falle nie vergessen, wo ich herkomme und wem wem ich das zu verdanken habe. Mit der eigenen Band weiterhin unterwegs zu sein, auch mal größere Konzerthallen zu füllen und von der Musik leben zu können – das wäre mein Traum! Ich freue mich außerdem sehr auf die Veröffentlichung des neuen RENNER-Albums – dem Trio, in welchem ich mit meinem Bruder spiele – und die deutschlandweite Tour nächstes Jahr. Ich mag es einfach, auf der Bühne zu stehen. Wenn ich mal weiterdenken darf, wäre irgendwann auch eine Professur ziemlich cool. Doch aktuell bin ich sehr zufrieden. Das Hobby zum Beruf zu machen und Tag für Tag das zu tun, was ich liebe, ist eigentlich das Schönste für mich.

INTERVIEW: JULIANE EISERBECK

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