Den eigenen Weg finden: Embryo spielen heute im Schauspiel Leipzig
Wenn das Motto der diesjährigen Leipziger Jazztage »Tell me…« als Aufforderung zum Geschichtenerzählen verstanden werden kann, hat die Band Embryo einiges zu berichten. Trotz wechselnder Einflüsse bleibt ihre weltweite Suche nach neuen Narrativen eine zuverlässige Beständigkeit.
Wo anfangen? Beim Verfassen eines Textes über Embryo gibt es viel zu viele mögliche Aufhänger – die Wurzeln der Band im Bebop, ihre Rolle als Wegbereiter des Krautrock in den frühen 70ern oder ihre Kollaboration mit hunderten von Musiker*innen aus Nord- und Zentralafrika, dem Nahen und Mittleren Osten oder Indien.
Auch Marja Burchard fühlte sich zunächst überwältigt, als sie 2016 die Leitung der Band übernahm, wie sie im Interview mit SWR Kultur berichtet. Ihr Vater und Gründer der Band, Christian Burchard, hatte kurz zuvor bei einer Tournee einen Schlaganfall erlitten.
Marja stand im Alter von 11 Jahren das erste Mal als Keyboarderin mit ihrem Vater auf der Bühne und hatte von klein auf einen starken Bezug zu der Band.
Dennoch wollte sie nicht unhinterfragt in die Fußstapfen des selbsttitulierten Jazzrock-Pioniers treten, ohne sich zu vergewissern, dass die damit verbundene Lebensweise wirklich ihrem eigenen Wunsch entsprach. »Ich habe dann irgendwann gemerkt, dass ich meinen eigenen Weg finden muss, und habe auch viele Sachen ausprobiert, habe länger in einer Theaterkommune gelebt.«
Über Jahre vollzog sie einen Spagat zwischen der Beteiligung an Embryo, der Unterstützung ihres Vaters und Teilhabe an eigenen Kreativprojekten. 2016 sah sich die Multiinstrumentalistin Marja erstmals auf sich alleingestellt »mit dieser Geschichte, mit diesem Projekt.« Sie stand vor der Aufgabe, den vielseitigen musikalischen Dialog ihres Vaters weiterzuführen und ihn zugleich um ihre eigenen Akzente zu erweitern. »Auf, auf«, ein Appell zum Aufbrechen, zum Weitermachen, war eine der letzten Ermutigungen, die ihr Vater ihr mitgab, kurz vor seinem Tod. Es wurde scheinbar zum Grundsatz der Band und der Titel des ersten Studioalbums unter neuer Leitung, das 2021 erschien.
Mit kompositorischer Unterstützung von Maasl Meier, einem Kernmitglied Embryos, und in Zusammenarbeit mit afghanischen und marokkanischen Musiker*innen entstand eine Symbiose aus klanglicher Kontinuität und neuen Facetten. »Besh« wirft die Hörerin mit Embryo-Urgestein Roman Bunka an der Oud zurück zu den Anfängen der Band. »Yu mala« stützt sich zunächst auf einen gemächlichen Basslauf, der an westafrikanischen Blues erinnert, wird um ein Vibraphon erweitert und verwandelt sich gegen Ende des Stücks mit Synthesizer-Einlage überraschend in Fusion-Jazz.
Für Marja steht beim Musizieren vor allem das Gefühl der Verbundenheit im Vordergrund, wie sie immer wieder betont. Die Zusammenarbeit mit neuen und alten Kollaborateur*innen halte die Metamorphose von Embryo weiterhin aufrecht. Auch der Einsatz bislang ungenutzter Instrumente helfe dabei, musikalische Grenzen aufzuweichen – zuletzt durch die Hinzunahme einer Posaune. »Natürlich finde ich es spannend, das Projekt in andere Richtungen zu öffnen und verschiedene Musikrichtungen mitreinzuholen. Aus der elektronischen Musik, aus dem Hip-Hop Bereich, sodass es wirklich diese Offenheit beibehält.« Das musikalische Terrain der Band ist also noch lange nicht vollständig abgesteckt.
TEXT: LEONIE BECKER