Dalla Torre/Joussein/Zöschg: Wie ein Fisch im Wasser

Unser Autor David Wunderlich war dabei, als Delphine Joussein, Damian Dalla Torre und Laura Zöschg erstmals in der Galerie KUB aufeinandertrafen. Eines sei vorweggenommen: Niemand kann mehr behaupten, dass die Querflöte nicht cool klingt.
Beim Betreten wirkt die Galerie KUB wie ein Hörsaal. Und das liegt nicht nur daran, dass ich auch hier nur knapp pünktlich komme: Die Wände sind in neutralem Weiß gehalten, ordentlich gestellte Stühle führen Stufe für Stufe tiefer in den Raum. Am Ende der gut gefüllten Stuhlreihen ein mittig gestellter Tisch, auf den alles ausgerichtet ist. Nach einer kurzen Begrüßung eilt Dalla Torre ganz bescheiden dorthin auf seinen Platz. Der erste Loop klingt wie das Knarzen von Stühlen und trägt uns nahtlos in das Konzert über.
Drei Scheinwerfer strahlen die hohen Decken hinter Dalla Torre an und färben den Raum in ein tiefes Blau. Hallvernebelte Harmonien beginnen langsam zu wandeln, im Rhythmus eines entspannten Ein- und Ausatmens. Sein Sopransaxofon bettet sich wie selbstverständlich in das Klanggewebe ein, so subtil und flächig wird es eingesetzt. Dalla Torres Musik transportiert eine unaufdringliche Tiefe, die einen automatisch hellhörig werden lässt. Im blauen Raum, umhüllt von diesen Klängen, fühle ich mich wie ein Fisch im Wasser.
Langsam verwandeln sich die Lichter in Grün, entfremdete Kuhglocken sind zu hören. Eine Anspielung auf das Südtirol Jazzfestival, mit dem dieser Abend in Kooperation geplant wurde? Entfernter Donner zieht durch die Klanglandschaft und Laura Zöschg betritt die Bühne. Die beiden arbeiten nicht das erste Mal zusammen, die klare Stimme von Zöschg hat schon den traumhaften Titel »Acryl« auf Dalla Torres Album »I Can Feel My Dreams« geprägt. Die Sängerin baut heute Abend lang anhaltende Stimmschichten auf, das Echo auf ihrem Mikro wiederholt sich taktweise. Erst dunkel, dann klar, dann werden sie zu Seufzern, die zu Sirenen anschwellen. Dalla Torre setzt sich auf einen Klappstuhl an die Seite, der letzte Akkord klingt minutenlang aus, das Spotlight ist auf Zöschg gerichtet. Die zerstückelt ihre Stimme mit einem Tremolo, oktaviert sie nach unten, ergänzt mit der Querflöte. Das Frage- und Antwortspiel, das sie mit Loops und enormer Stimmvielfalt allein betreibt, klingt gleichzeitig himmlisch und angsteinflößend.

Foto: Simon Chmel
Nach kurzem Blickkontakt klinken sich Dalla Torre und Delphine Joussein in die Musik ein. Joussein ist ganz verkabelt, ihre Querflöte angeschlossen an die dutzend Effektgeräte, die im Halbkreis vor ihr auf der Bühne liegen. Der stark verzerrte Sound klingt wie eine E-Gitarre, mit deren bedrohlichen Tönen sie immer wieder dazwischen hakt. Im Trio hören alle aufeinander, die Musik erreicht ihre höchste Dichte. Die Dominanz im Klanggeschehen geht fließend im Kreis. Gemeinsam werden die Grenzen zwischen fremd und vertraut, unangenehm und beruhigend verwischt. Der angekündigte »zweistündige Spaziergang durch Klanglandschaften« wird dann aber für eine Pause unterbrochen. Schade, war der Ausblick gerade jetzt so grandios.
In der Pause freue ich mich über das so schöne Set, denke an die Arbeit montags, checke Mails. Plötzlich improvisieren die drei auf der Bühne im Innenhof und führen so die Menge zurück in den Saal hinein. Ich überhöre mehrere Witze, die irgendwas mit »Rattenfänger« beinhalten. Die Musiker:innen teilen sich den großen Raum auf, nehmen ihre Querflöten auseinander, lassen sie wie etwas nie zuvor Gehörtes klingen. Wer hätte gedacht, dass deconstructed flute music heute auch auf dem Programm steht?
Joussein positioniert sich wieder vor ihre Effektgeräte, ganz unauffällig sind Dalla Torre und Zöschg verschwunden. Das Publikum wird jetzt in ihr Universum geführt, das ganz individuelle Spiel der Querflöte von vorhin nochmal übertrumpft. Joussein singt, spricht und pfeift in das Mikrofon an ihrer Flöte, spielt die Klappen perkussiv, jagt alles durch den Bitcrusher, dreht die Knöpfe mit der Schuhspitze, mischt mindestens drei Arten der Verzerrung gleichzeitig. Als das erste Mal die Querflöte zwei Oktaven tiefergelegt einen riesigen Hall nach sich zieht, kann sich jemand hinter mir das »Sheesh« nicht verkneifen. Der Lichttechniker weiß genau, was zu tun ist und untermalt das Noise-Solo passend. Die großen Fenster, die den Raum zum Gehweg hin präsentieren, ziehen regelmäßig Vorbeigehende an. Ein kleines Mädchen mit »Hello-Kitty«-Luftballon in Herzform will ihrem Vater gar nicht folgen, als der weitergehen möchte. Vielleicht liegt es daran, dass es nach der Pause nicht mehr so gut mit der Immersion klappt, aber nach zwanzig Minuten fühlt sich dieser Noisepfad für mich leicht ausgetreten an. Als Kontrast hätten eingestreute leise Töne stark gewirkt.

Foto: Simon Chmel
Alle drei konnten an diesem Abend ihre ganz eigenen musikalischen Persönlichkeiten beeindruckend zur Schau stellen. Faszinierend war dabei vor allem, wie sich ihr erstes Aufeinandertreffen im Trio so wunderbar ergänzt hat. Etwas enttäuscht war ich hingegen darüber, dass dieses Triospiel in der zweiten Hälfte kaum stattfand. Trotzdem überwiegt deutlich die Freude an der gehörten Virtuosität. Sich hinsetzen, zuhören und auf so viele Reisen mitgenommen werden zu können: wie toll, dass der Raum an diesem Abend tatsächlich in einen Hör-Saal im schönsten Sinne des Wortes verwandelt wurde.
David Wunderlich





















