Arnold/Martin/Rom: Glücklich durch die Nacht

Minimalismus als Kontrast zum Überfluss. Drei Musiker auf der Suche nach einer neuen Klangsprache: Das waren die spärlichen Stichworte über das Trio Arnold/Martin/Rom, die unseren Autor Robert Wenzel nach der Lektüre des Programmheftes der Leipziger Jazztage neugierig gemacht haben. Nun, nach seinem Konzertbesuch, ist er schlauer – und glücklicher.
Mein Konzertabend beginnt mit der Suche nach dem Eingang. Das Mitternachtskonzert findet in der Moritzbastei statt. So wie es als einziges Konzert dieser Jazztage in der Geisterstunde versteckt ist, liegt auch der Eingang versteckt an der Seite der weitläufigen Anlage. In der Renaissance wurde sie als Teil der Leipziger Stadtbefestigung gebaut. Durch einen lang gezogenen Gang geht es hinunter in den Oberkeller, der abwechselnd aus Stufen und Terrassen mit Sitzgelegenheiten besteht. Unten angekommen, ist die Architektur verschachtelt und massiv. Die Instrumente – Schlagzeug, Bass, Gitarre und ein Koffer mit Effektgeräten – stehen eben dort vor den monumentalen Gewölbedecken. Wie viele Klinker hier wohl verbaut wurden?
Circa 40 Menschen sitzen verteilt auf den verschiedenen Ebenen. Die Stimmung ist ruhig. Die drei Musiker werden vorgestellt. Mapping Music – das Thema der Jazztage in diesem Jahr. Hier wird auch lokalen Akteur:innen eine Bühne gegeben. Dazu gehören auch Hans Arnold, Philipp Martin und Markus Rom, die in dieser Besetzung heute ihr erstes Konzert spielen. Musikalisch kann man sie in keine Schublade stecken. Sie bewegen sich in vielen Bubbles. Eine Information, die für mich durchaus relevant ist: Dies ist mein Überraschungskonzert. Ich kenne lediglich den ersten Satz aus dem Programmheft über sie und bleibe gespannt.

Foto: Lukas Diller
Die drei Musiker betreten die Bühne und fangen sofort an zu spielen. Keine begrüßenden Worte an das Publikum. Die Musik soll das wohl erledigen. Ich muss an das Programmheft denken: Klangsprache.
Der Bass klingt ungewöhnlich hoch, die Gitarre spielt sich wiederholende Pattern, das Schlagzeug unterstützt dezent. Alles wird mit Hall gespielt. Ein angenehmer Klangteppich breitet sich im Oberkeller aus. Leicht treibend, aber nicht fordernd. Der angepriesene Minimalismus gilt nur von außen. Die Musik lädt dazu ein, sich in ihr zu verlieren und zu träumen. Immer wieder bäumt sich die Musik auf, wie eine Windböe, die einer Landschaft eine Richtung gibt. An Landschaften muss ich während des Konzertes immer wieder denken. Radioheads »In Rainbows« schwirrt in meinem inneren Ohr umher.
Das zweite Stück: Repetitiver Bass, der eine Art Zeittakt vorgibt. 5-6 Töne hintereinander, von unten nach oben. Verschiedene Geschwindigkeiten. Die Zeit nimmt es nicht so streng. Die Musiker haben alle sehr ähnliche Brillen an. Durch diese schauen sie sich wenig an. Es wird über die Ohren kommuniziert. Die Gitarre folgt teilweise dem Riff des Basses. Dann wird sie wieder sphärischer. Hans Arnold genießt die Freiheit, nicht den Takt vorgeben zu müssen und nutzt das Schlagzeug weit über die Felle hinaus.
Er bedient nebenbei verschiedene Effektgeräte, die neben ihm aufgebaut sind. Immer wieder modifiziert er den Klang seines Schlagzeugs, indem diverse metallische Gegenstände auf die Felle gelegt werden. Auch Philipp Martin und Markus Rom bedienen ihre Instrumente und Effektgeräte weit über das Gewöhnliche hinaus. Sie erzeugen dadurch in ihren Kompositionen immer wieder Passagen, in denen die Musik scheinbar unter Wasser abtaucht oder den Aggregatzustand verändert.
Der Song ist vorbei. Oder doch nicht? Ein Moment der Stille könnte durchaus Teil eines Arrangements sein. Es gibt keinen Applaus. Das Publikum ist jedoch keinesfalls abgeneigt. Immer wieder kann ich Menschen mit geschlossenen Augen beobachten, die in sich versunken zur Musik hin und her wippen. Vor und nach der Zugabe gibt es langanhaltenden Beifall. Vereinzelt wird gefordert, das Konzert von vorne zu beginnen. Doch so weit sind wir noch nicht.
Stripped down, bzw zurückhaltend und einfach sind eigentlich nur das Publikum und die Künstler. Die Musik ist nicht überladen, aber klingt durch das Sphärische auf andere Weise groß. Da sind sie wieder, die Klangkörper. Alles klingt mechanisch. Wie in einem Ort nahe der Wüste, wo in der Ferne gearbeitet wird. Geräusche aus einer Schmiede.
Gitarre und Bass spielen nun unisono im gleichen Anschlag.
Applaus. Scheinbar war das Lied vorbei. Die Musiker lächeln kurz ins Publikum. Hier ist es nicht aufgedreht abendlich, sondern andächtig mitternächtlich.
Hans Arnold legt einen Klangkörper, der wie ein Becken aussieht, auf die Snare. Mal spielt er ihn mit der Hand abgedämpft. Dann wieder schachernd mit dem Stick und einem kleinen Metallstab gerieben. Eigenartige, schöne Klänge. Es wird immer wieder psychedelisch. Der beckenartige Klangkörper wird auf die Tom gebounced. Ein tiefer Schlag. Nicht laut, aber er übergibt klar den Staffelstab an die Gitarre. Ein sich wiederholendes Pattern. Wir sind ein Stück weiter gegangen. Die Musik ist an sich nicht groß und pompös, aber sie lässt die Zuhörenden eine Größe in sich spüren bzw. Platz, diese zu fühlen.

Foto: Lukas Diller
Das Licht scheint inzwischen deutlich sichtbar durch das verbliebene Notenblatt auf dem Notenständer. Hans Arnold spielt ein Solo am Schlagzeug. Er spielt Synthesizer und Schlagzeug zusammen und schafft sein eigenes Pattern. Die Gitarre greift es auf und übernimmt kaum merklich. Elegant! »One two three four« – das erste Mal! Wörter! Das Lied hat einen freudigen und positiven Anklang. Auf einmal wieder: »one two three…«, und das Schlagzeug wird treibend. Hans Arnold hat ein breites Lächeln im Gesicht. Philipp Martin und Markus Rom mit Blickkontakt zu ihrem Schlagzeuger. Da passiert was. Das Publikum ist voll da und die Energie geht über. Alle sind im Bann der Musik. So als hätten uns die Drei auf der Bühne mit ihren Liedern genau hier hingeführt. Gitarre und Schlagzeug wieder im gleichen Anschlag. Dann Bass und Gitarre im gleichen Anschlag. Das Schlagzeug hört kurz auf. Dann wieder alle drei zusammen. Geil. Der Sound wirkt dadurch rougher. Hans Arnold treibt wieder am Schlagzeug. Bass und Gitarre spielen weiter im selben Anschlag. Das Schlagzeug wechselt die Spielart zwischen jazzig verspielt, zu treibend und wieder zurück.
Es wird aufgebrochen. Überall liegen Notenblätter rum. Steigerung. Das Finale. Es wird groß. Immer größer. Und Schluss.
In meiner Begeisterung finde ich mich am Merchandise Stand wieder und kaufe die Soloplatte von Hans Arnold. Leider gibt es keine Platte von allen dreien. Ich empfehle Markus Rom im Gespräch, das nachzuholen. Dann fahre ich glücklich durch die Nacht nach Hause.
