LEIPZIGER JAZZTAGE

Anw Be Yonbolo: Wir sind zusammen

Foto: Lukas Diller
Foto: Lukas Diller

Zwei Musikerinnen, deren Musik größer klingt, als es eine Duobesetzung vermuten lässt. Zwei Klangsprachen, die zusammen ein neues Universum erschaffen. So war das Konzert von Anw Be Yonbolo im Vorfeld angekündigt worden. Ist es der hohen Erwartungshaltung gerecht geworden?

Von außen erscheint der Veranstaltungsort UT Connewitz recht unscheinbar im Dämmerlicht des frühen Abends. Allerdings drängen sich schon einige Menschen vor der Tür. An der Kasse vorbei geht es zunächst durch einen Gang ins Innere, durch eine weitere Tür und dann – Wow! Der ehemalige Kinosaal von 1912 erscheint im natürlichen Shabby Chic: die Farbe von Decke und Wänden schon etwas abgeblättert, changiert von grau-beige über gelb-gold zu rot. Linker Hand ragt eine Empore über der Bar auf, an der Decke projizierte Lichtspiele, rechter Hand eine große Bühne, bereit für die Konzerte des Abends. Die Kino-Leinwand an der Rückwand der Bühne verkündet: Leipziger Jazztage.

Anw be Yonbolo spielen das Eröffnungskonzert des Festivals. Bevor jedoch die Musikerinnen die Bühne betreten, stimmt Robert Lucaciu aus dem Kuratorium auf das Festival ein. Danach erzählt Tobias Kobe aus dem Kulturamt etwas langatmig über den Stellenwert des Jazz für Leipzig und die Relevanz der Kulturförderung.

Wippende Köpfe vor der Bühne

Der Applaus ist umso stärker, als endlich Ève Risser und Naïny Diabaté auf die Bühne gebeten werden. Auftritt von rechts: die Treppe von der Empore herunterlaufend, um die Ecke des Geländers spähend, zwei Flaschen Wasser aus dem nahen Getränke Kasten schnappend – Risser, würdevoll schreitend Diabaté. Letztere im eleganten, glitzernden, bodenlangen Gewand in rot und mit gold bestickt, mit aufwändig gewickelter traditioneller Kopfbedeckung. Risser eher leger in gold-glitzerndem T-Shirt zwar, aber mit gelben Schuhen und gelbem Käppi auf dem Kopf. Wer Risser kennt, weiß: Dieses Outfit ist ein Markenzeichen. Eines, mit dem sie seit Jahren ihr Solo-Programm »Après un rêve« bestreitet. Und tatsächlich lassen sich auch musikalische Ähnlichkeiten ausmachen.

Foto: Lukas Diller

Risser beginnt im tiefen Bassregister, vereinzelt kommen hohe Töne dazu, schließlich Arpeggios. Bald schon steigt Diabaté ein, ihre Stimme erhebt sich mit einer aufsteigenden Melodie über dem Crescendo des Pianos. Sie hält den Ton, eine langgezogenen Frage. Der ehemalige Kinosaal ist schon jetzt völlig erfüllt von den mächtigen Klängen des Klaviers und Diabatés intensiver Stimme.

Sehr schnell steigern sie ihr Tempo, die lockere Rhythmik des Intros geht in einen klaren und eingängigen Groove über. Auf den Zählzeiten eins und drei ergänzt Risser die Basstöne mit einer Bassdrum, die sie mit ihrem rechten Fuß spielt. Einzelne Klaviersaiten sind präpariert und abgedämpft, werden sie angeschlagen, hört man Schnalz- und Klicklaute.

Die treibende Rhythmik der Musik sorgt für viele wippende Köpfe vor der Bühne. Diabaté regt mehrfach zum Mitklatschen an, das Publikum ist sofort dabei. Ihr Gesang ist sehr präsent, oftmals rufend und erzählend, mit langgezogenen vibrierenden Endtönen, teils dramatisch. Manchmal singt Risser eine zweite Stimme zu sich wiederholenden Passagen, antwortet mit ihrer Stimme, häufiger aber mit Klavierläufen auf das Rufen Diabatés. Man merkt, dass die beiden Musikerinnen nicht zum ersten Mal zusammenspielen.

Gleichberechtigung im Jazz

Seit 2019 kollaboriert Rissers Red Desert Orchestra regelmäßig mit Diabatés Kaladjula-Band. In 16-köpfiger Besetzung spielen sie gemeinsam unter dem Namen Kogoba Basigui. Die Kaladjula-Band ist die erste Band in Mali mit ausschließlich weiblicher Besetzung, in der die Musikerinnen traditionell Männern vorbehaltene Instrumente spielen. Auch Risser setzt sich seit Jahren für mehr Gleichberechtigung von Frauen im Jazz ein und möchte in ihren Bands Stimmen Gehör schenken, die man normalerweise nicht hört. So dominieren bei Kogoba Basigui die Instrumente aus Westafrika und das Programm wurde mit der Band ohne Noten nach Gehör erarbeitet und gemeinsam arrangiert. Der Austausch zwischen den Kulturen Westafrikas und westlicher Improvisation und Jazz sollte nach Möglichkeit auf Augenhöhe stattfinden. Dies erfordert von allen Seiten die Fähigkeit, gut zuzuhören und die Offenheit gegenüber Neuem.

Dass Risser und Diabaté einander zuhören können, beweisen sie an diesem Abend im UT Connewitz immer wieder. Risser begleitet Diabaté mit ihren Grooves, kontrastiert den Gesang mit mal locker hingeworfenen Arpeggios oder mit abwechslungsreichen Melodieläufen und streut immer wieder Jazz-typische Dissonanzen ein. Diabaté dagegen bedient sich traditioneller Melodien aus der malischen Kultur. Als Griot – so werden Menschen in Mali genannt, die dichten, und mittels Gesang Geschichten erzählen – improvisiert sie mit Worten. Da sie auf Mandinka singt, wird an diesem Abend jedoch kaum jemand im Publikum den genauen Wortlaut verstehen. Die Intensität der Musik spricht jedoch eine eigene Sprache. 

Foto: Lukas Diller

Starke Bühnenpräsenz

Beide Musikerinnen zeichnen sich durch eine starke Bühnenpräsenz aus. Während die Pianistin den Groove hält oder wilde Klavierläufe improvisiert, beginnt die Sängerin beinahe zu tanzen, steigt aber bald wieder mit ihren Melodien ein. Gemeinsam erzeugen sie ein Klangbild, dass sehr dicht und hoch energetisch ist. Weitere Instrumente vermisst man an diesem Abend jedenfalls nicht. Stattdessen bleibt den Zuhörenden kaum Zeit, mal durchzuatmen. Eine Ballade in der Mitte des etwa einstündigen Programms schließlich sorgt für Gänsehaut-Momente. Beginnend mit sphärischen Klängen auf dem Klavier zeigt Risser einmal mehr die Vielseitigkeit ihres musikalischen Ausdrucks. Zum Ende wird es schließlich wieder tanzbar. Verwunderlich, dass nicht alle sofort von ihren Stühlen aufspringen und sich zur Musik bewegen. Vielleicht ist dies dem eher hohen Altersdurchschnitt der Besuchenden geschuldet? Der frenetische Applaus am Ende des Konzerts aber zeigt, wie begeistert das Publikum ist. Ohne Zugabe dürfen die Musikerinnen nicht gehen. Diese bestreiten sie schließlich mit einem ganz besonderen Stück, das endlich nach einer wirklich gemeinsam geschriebenen Komposition klingt. Langgezogene tiefere Töne im Gesang harmonieren perfekt mit der dissonanten Sekund-lastigen Begleitung Rissers. Damit erzeugen die Musikerinnen eine geheimnisvolle Atmosphäre und höchste Spannung. Bedauerlich, dass das Konzert damit bereits vorbei ist. Zu gern hätte ich noch mehr gehört und den Austausch der Kulturen weiter verfolgt.

Foto: Lukas Diller

Noch einmal im Applaus badend verschwinden die beiden Musikerinnen schließlich über die Treppe. Diabaté winkt ein letztes Mal über die Empore herunter. Der alte Kinosaal leert sich.

Leona Cordes

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